Thomas Dybdahl

Von sozialen Netzwerken über Online-Banking bis zum Supermarkt-Einkauf – ein Großteil unseres Lebens spielt sich längst im Internet ab. „Man kann praktisch leben, ohne das Haus verlassen zu müssen, weil man alles online erledigen kann. Wer keine Lust hat, Leute zu treffen, muss das auch nicht“, sagt der norwegische Songwriter Thomas Dybdahl. „Unterbewusst ist mein neues Album vielleicht eine Art Gegenentwurf dazu: Ich wollte unbedingt mit anderen Musikern arbeiten und gemeinsam spielen.“ Das Ergebnis ist Dybdahls achtes Album „All These Things“: Eine zeitlose Singer/Songwriter-Platte, bei der er voll und ganz auf seine Intuition hörte, statt die Dinge zu überdenken.

Als Produzenten engagierte Dybdahl erneut den Grammy-Gewinner Larry King (Joni Mitchell, Herbie Hancock, Tracy Chapman). Die beiden hatten bereits sein 2013 veröffentlichtes und für einen Grammy nominiertes Album „What’s Left Of Forever“ zusammen aufgenommen. „Larry und ich haben schon länger darüber gesprochen, ein Album auf die old school Art zu machen: Die besten Session-Musiker, der beste Live-Aufnahmeraum, gute Songs und ein enger Zeitplan, damit wir unter Druck stehen, unseren Instinkten vertrauen und gar nicht erst die Chance haben, hinterher zu viel zu überarbeiten“, so Dybdahl. „Wir sprachen viel über den Tuesday Night Music Club. So nannte sich eine Gruppe von Schriftstellern und Musikern, die sich in den frühen Neunzigern immer dienstags in Los Angeles traf. Ziel war es, jeden Abend einen Song fertigzustellen. Das Ganze kulminierte in Sheryl Crows Debütalbum, das ebenfalls ‚Tuesday Night Music Club‘ hieß.“

Wie der Zufall es wollte, kennt Klein sogar ein paar jener Musiker. So kommt es, dass auf Dybdahls Album neben den Tuesday Night Music Club Mitgliedern David Baerwald und Brian MacLeod so namenhafte Musiker wie James Gadson (Herbie Hancock, Bill Withers, Paul McCartney) am Schlagzeug, Dean Parks (Steely Dan, Michael Jackson, Paul Simon) an der Gitarre, Patrick Warren (Fiona Apple, Tracy Chapman, Bruce Springsteen) am Keyboard und Dan Lutz (Lizz Wright, Lang Lang) am Bass zu hören sind. „Wir wollten eine Band zusammenstellen und in diesem Setup für die Platte schreiben“, erklärt Dybdahl. „So hatten wir die Möglichkeit, die Songs zusammen auszuarbeiten und uns auf die Studiosessions vorzubereiten.“ Nach etwa zwei Wochen in einem Proberaum in Echo Park ging es in das Sunset Sound Studio in Hollywood, wo das Album in nur drei Tagen und Nächten aufgenommen wurde.

Wenn man so will, ist „All These Things“ damit auch eine Reaktion auf Dybdahls letztes Album „The Great Plains“, bei dem der Fokus auf der Produktion lag und an dem er damals stolze vier Jahre gefeilt hat. „Dieses Mal ging es um die rohe Energie und darum, den Spirit dessen einzufangen, was zwischen den Musikern passiert“, sagt er. „Die Platte ist etwas rougher und simpler, die Produktion und Arrangements sind jetzt nicht gerade Avantgarde.“ Genau das macht die Songs so zeitlos – von dem atmosphärisch-düsteren, bluesig angehauchten Eröffnungsstück über das entspannt vor sich hin pluckernde „Can I Have It All“ und das sanfte, alles in Frage stellende „What You Came For“ bis zu der reduzierten Klavierballade „Stupid Heart“. Pedal-Steel-Gitarre, Hammond-Orgel, Mandoline, Geigen, Bratsche und Cello kommen zum Einsatz, aber stets behutsam und dezent. Ein besonderer Moment ist auch das Duett „When I Go“, das Dybdahl zusammen mit Americana/Folk-Sängerin Lera Lynn schrieb. Die meisten dürften sie aus der HBO-Serie „True Detective“ kennen, in der sie mehrmals in der Bar „The Black Rose“ auftrat.

In seinen Texten beschäftigt Dybdahl sich mit einem Thema, das uns alle betrifft: dem Älterwerden. „Ich werde nächstes Jahr 40. Ich habe vermutlich genauso viel Zeit hinter mir wie vor mir. Das ist schon echt angsteinflößend, denn wenn ich zurückblicke, ist die Zeit gefühlt wie im Flug vergangen“, sagt er. Für das Album habe er versucht, sein Leben zu entziffern. „Was ich richtig und was ich falsch gemacht habe – und was mich glücklich macht“, sagt er. „Vielleicht sind das die Anfänge der Midlife-Crisis!“ Zu den Schlüsselsongs der Platte gehören „All These Things“ und „What You Came For“. Letzterer handelt davon, dass das Tun immer Konsequenzen mitbringt, und im Titelsong geht es um all den Ballast, den man im Leben ansammelt. „Damit meine ich nicht Besitztümer, denn die kann man loswerden. Ich meine all die Entscheidungen, die man im Leben trifft. Sie stapeln sich und irgendwann steht man vor einem großen Durcheinander und fragt sich, wie man an diesen Ort gekommen ist.“

Die Frage, was ihn glücklich macht, ist für Dybdahl übrigens schnell beantwortet. „Vater zu sein ist für mich das größte Glück. Man hat so viel bedingungslose Liebe für diese Person, dass es sich fast überwältigend und unerträglich anfühlt“, sagt er. „Ich empfinde es aber auch als großes Glück, dass meine Arbeit mir so viel Spaß macht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie mich rettet, wenn ich an einen schlechten Punkt komme. Ich liebe nach wie vor, was ich tue.“

Dybdahl war 19 Jahre alt, als er seine ersten EPs „Bird“ und „John Wayne“ veröffentlichte. Mit der dogmatischen Ein-Mikrofon-Herangehensweise, dem intimen Akustiksound und dem gefühlvollen Gesang seines Debütalbums „…That Great October Sound“ begeisterte er auch jenseits von Norwegen Kritiker und Fans. Seitdem hat er Musik für Filme und Theater komponiert, als Produzent gearbeitet, die One-Man-Band The National Bank gegründet und mit so unterschiedlichen Künstlern wie Morcheeba, der französischen Sängerin Melanie Pain und Folk-Ikone Judy Collins kollaboriert – und inzwischen mehr als die Hälfte seines Lebens der Musik gewidmet. „Sollte es plötzlich doch nicht mehr laufen, habe ich ein Problem, denn etwas anderes kann ich nicht“, lacht er. Wobei das natürlich untertrieben ist. Wenn Dybdahl mal nicht Musik macht, geht er Zuhause in Stavanger angeln oder golfen. Oder er braut sein eigenes Bier. „Noch so ein Zeichen für eine Midlife-Crisis“, grinst er. „Bierbrauen ist das neue Harley-Davidson-Fahren. Ich bin aber nicht der Typ, der zu einer Party sein Bier mitbringt und alle zum Probieren zwingt. So gut bin ich auch nicht. Es geht in erster Linie darum, Spaß zu haben – und Bier zu trinken. Denn man muss ja Recherche betreiben und dafür eine Menge Bier probieren!“

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