Emma Elisabeth

„I was the passenger now I’m a pilot“ – das ist mehr als die Songzeile in einer verträumten Indiepop-Hymne. Emma Elisabeth ist zur Pilotin ihres eigenen Lebens geworden und ihr Album „Melancholic Milkshake“ ist die dazugehörige Emanzipationsgeschichte.

Emma Elisabeth Dittrich wird im Juli 1984 in Schweden geboren. Beide Eltern sind Musiker, so dass die kleine Betty sich die vielen Instrumente, die zu Hause rum liegen, schnell aneignet. Sie singt im Chor, lernt Klavier spielen, kauft sich ihre erste E-Gitarre, gründet Bands und studiert schließlich in Stockholm am renommierten Kulturama Gesang. Oder tourt mit dem ersten Album ihrer Powerpop-Girlband Shebang durch Japan. Gleichzeitig arbeitet sie aber auch an Solosongs und als sie 2010 ein Auslandssemester nach Deutschland führt, bleibt sie einfach in Berlin.

Ausgerechnet ein Nebenprojekt mit deutschsprachigen Texten verhilft ihr dort zum ersten musikalischen Durchbruch: Von EMI unter Vertrag genommen, veröffentlicht sie als Betty Dittrich 2013 ein Album und nimmt am Vorentscheid des Eurovision Sound Contest teil. Der 60ies angehauchte Grand Prix Pop ist aber nur der Anfang ihrer eigentlichen musikalischen Entwicklung und ihrer Ambitionen als Künstlerin. 2016 veröffentlicht sie deshalb das D.I.Y.-Album „Cover Stories“ mit Songs von unter anderem Lou Reed, Bob Dylan, Fleetwood Mac und Daniel Johnston. Nach der ersten harten Landung in der Musikindustrie ist das wie eine Befreiung für die Musikerin und der Aufbruch zu neuen Ufern. Ihre Zeit als „Betty Dittrich“ sieht Emma Elisabeth trotzdem gelassen: „Ich bin total dankbar für diese Zeit. Es ist wichtig, Dinge zu machen, um etwas zu lernen. Und ich habe dadurch gelernt, dass ich die Sachen besser selber mache und keine Kompromisse mehr eingehen möchte. Lieber produziere ich meine Sachen selbst und mache mich weniger abhängig von den Meinungen anderer“. The pilot halt …

Heute nutzt die Musikerin ihre Erfahrungen auch als Songschreiberin für andere Künstlerinnen und Künstler. Und das höchst professionell: Emma Elisabeth hat entscheidend an Veröffentlichungen von RAF Camora, Thorsteinn Einarsson, SVRCINA und vielen anderen Künstlern mitgeschrieben und sich auch schon an Filmmusik (High Society, 2017) als Schreiberin beteiligt. Eine beeindruckende Bandbreite, zwischen deren Polen die Künstlerin sich solo wiederum völlig anders verortet.

Entsprechend sind die Songs auf „Melancholic Milkshake“ von Emma Elisabeth selbst geschrieben, nur bei wenigen Songs haben sich andere Musiker beteiligt: für den hymnischen Vintage-Folkpop von „Cavalry“ hat sie mit Petter Ericson Stakee von Alberta Cross gearbeitet, für zwei weitere Stücke mit Ex-Franz-Ferdinand-Mitglied Nick McCarthy – „So sehr ich es liebe, eigene Songs zu schreiben, so sehr macht es mir eben auch Spaß, mit anderen zusammenzuarbeiten, auch, um andere Einflüsse und Nuancen einzubringen“, sagt die 34-Jährige und ergänzt: „würde ich immer nur alleine arbeiten, wiederhole ich mich irgendwann.“ Deshalb verstärken „Melancholic Milkshake“ auch der Schlagzeuger Earl Harvin (Tindersticks, AIR) und Bassist Christian Kuehn. Aufgenommen hat Emma Elisabeth ihr Album im Proberaumstudio im Osten Berlin, produziert hat die das Album selbst unterstützt von Produzent Victor Van Vugt (Nick Cave, PJ Harvey), der die Platte abgemischt hat.

Und auch live kann sie sowohl mit Bandunterstützung als auch solo mit ihrer Musik punkten. Das hat sie nicht nur bei den Supporttouren mit Sunflower Bean, L.A. Witch, Bled White, Hannah Epperson und The Japanese House unter Beweis gestellt, sondern wurde auch 2019 zum zweiten Mal in Folge eingeladen beim SXSW zu spielen.

 

Während die verstimmten analogen Synthesizer bei „Melancholic Milkshake“ für 80er-Referenzen sorgen, klingen die Gesangharmonien ganz so, als unternähmen Patti Smith und Dolly Parton einen Roadtrip von der Ost- an die Westküste, um unterwegs noch Fleetwood Mac und Mazzy Star aufzulesen. Emma Elisabeth vermengt Jangle mit Alternative Pop, Americana und Country zu ihrem ganz eigenen Vintage-Pop. Emma Elisabeth nennt es „unpolierte Popsongs“ und verweist auf KünstlerInnen wie Jenny Lewis, Sharon Van Etten oder Sunflower Bean, die das Organische der Songwritertradition in die Gegenwart transportieren. Wie auch schon ihre 2017 erschienene EP „We Gotta Talk“ lässt Emma Elisabeth den Produzenten Victor Van Vugt (PJ Harvey, Nick Cave) ihren melancholisch umwitternden Sound düster veredeln. So beschwören Songs wie „I’d Be Lying“ oder “What A Waste“ die Geister des Rock’n’Roll herauf, während sich die intime Gitarrenballade „Into The Blue“ und das lasziv verschleppte „Head Over Heels“ sich am Blues reiben. Und trotzdem verliert „Melancholic Milkshake“ nie den Pop aus den Augen. Wie beim finalen Song „Great Pretender“, den ein hallendes Orgel durch emotionale Tiefen hebt. Den Song hat Emma Elisabeth in der Nacht geschrieben, als sich ihr Freund überraschend von ihr getrennt hatte. Statt mit einer Physiotherapie verarbeitet die Musikerin die Trennung mit Songschreiben. „Melancholic Milkshake“ ist deshalb auch ein Breakup-Album geworden. Aber eins, in dem die Melancholie von einer positiven Botschaft getragen wird. Weshalb der Song, mit dem vieles auf dieser Platte begonnen hat, am Ende steht. Um Platz zu machen für „Pilot“, den Opener, mit dem nicht nur „Melancholic Milkshake“ durchstartet, sondern auch Emma Elisabeth sich zielsicher Richtung Erfolg navigiert – once she was a passenger now she’s the pilot …

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