Luca Vasta
Luca Vastas ganze Liebe galt schon immer der Musik. Eine Tatsache, die Alba, ihr Debüt-Album, nun mit Nachdruck veranschaulicht. Dafür muss man sich nur ihre erste, hochinfektiöse Single »Cut My Hair«, das zugleich in karger Eleganz und schwindelerregendem Glamour erstrahlende »Imperial«, die verträumte Melancholie in »Dear Alba« oder das herrlich dramatische, in Moll getünchte »Heartbeat« anhören.
Hat man das Glück, der charismatischen 25-jährigen persönlich zu begegnen und fragt sie nach ihren liebsten Songs auf Alba, dann nennt sie ganz sicher »Black Tears White Lies«. Und indem Vasta erklärt, warum sie sich ausgerechnet für diesen Song entscheidet, fasst sie damit gleichzeitig auch den besonderen Reiz des Albums zusammen: »Es ist schwarz und weiß, warm und kalt, Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt. So wie das Leben, wenn du jung bist: An einem Tag bricht dir das Herz und du hast das Gefühl, dass gar nichts mehr geht, aber schon am nächsten Tag ist wieder alles möglich. Allerdings«, sagt sie lachend, »könnte das auch mit meinem zum Drama neigenden italienischen Wesen zusammenhängen …!«
Im Westdeutschland der Jahrtausendwende als zweite von vier Kindern einer ausgesprochen lebhaften Familie aufgewachsen, sang Vasta von Kindesbeinen an im Chor. Mit dem Vater am Klavier versammelten sich die Vastas regelmäßig in einem mit Instrumenten vollgestopften Zimmer, um gemeinsam Musik zu machen. Dabei ging es nie um das Durchexerzieren biederer Hausmusik, sondern immer um den puren Spaß an der Freude — eine begeisternde Leidenschaft, die Vasta sich bis heute erhalten hat. »Wir haben zu Hause viel italienische Musik gehört«, erinnert sie sich mit einem Hauch von Wehmut, »und der erste Song, den ich je gesungen habe, war von Laura Pausini, einem italienischen Popstar. Sie war mein absolutes Idol! Aber«, lächelt sie verschmitzt, »damals war ich auch noch sehr, sehr jung!«
Je größer Vastas Liebe zum Pop wurde, umso besessener gab sie sich ihr hin, unter anderem, indem sie einen Großteil ihrer Zeit mit dem Wörterbuch verbrachte und englische Songs ins Deutsche übersetzte. Dabei erweiterte sie ihr Vokabular mit ihrem Horizont: auf Michael Jackson folgten TLC, die wiederum führten sie zu Lauryn Hill. Außerdem begeisterten sie schon in jungen Jahren die Songs von Velvet Underground und Joni Mitchell.
»Ich habe viel Zeit alleine verbracht«, sagt sie nachdenklich, »habe Gedichte geschrieben, gesungen, Musik gehört und aufgenommen.« Kein Wunder also, dass ihr Debüt-Album Alba so vielfältig, komplex und überzeugend ausgefallen ist. Vasta ist mit der Liebe zur Popmusik aufgewachsen, hat Pop aber nie einfach als leichte Unterhaltung abgetan, sondern immer schon um die der Musik innewohnende, emotionale Macht gewusst.
Vasta, die — nach einer kurzen Zeit, die sie mit achtzehn Jahren in Hamburg verbrachte, um dort Musik zu studieren — inzwischen in Berlin lebt, ist eine ungewöhnlich entschlossene junge Frau: Obwohl sie bereits vor einigen Jahren einen Deal bei einem Major-Label ergatterte und in Zusammenarbeit mit namhaften Produzenten und Songwritern ein Album aufnahm, verweigerte sie dessen Veröffentlichung ihre Zustimmung. Ihre Begründung spricht Bände, was ihren konsequenten künstlerischen Anspruch angeht: »Ich habe irgendwie gespürt, dass es nicht das war, was ich wirklich wollte. Das waren nicht die besten Songs, zu denen ich fähig bin.« Sie trennte sich von der Plattenfirma und konzentrierte sich eine Zeit lang auf ihre TV-Show im deutschen Musikfernsehen. Allerdings dauerte es nicht lange, bis sie — möglicherweise ausgelöst vom Kauf eines Klaviers für ihre Berliner Wohnung — erkannte, dass auch das nicht wirklich befriedigend war. Also kündigte sie kurzentschlossen, um jenes Ziel weiterzuverfolgen, das sie seit ihrer Kindheit nicht losließ. »Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, wann ich meinen ersten Song geschrieben habe«, versucht sie sich, an dessen Ursprung zu erinnern. »Vermutlich habe ich es einfach immer schon getan.«
Aber erst die Begegnung mit einem ähnlich jungen Musiker namens Matthias Biermann gab Vasta den entscheidenden Impuls, ihren Traum endlich in die Tat umzusetzen. »Ich habe ihm ›Travel Safe‹ vorgespielt, die erste Nummer, die ich für das Album geschrieben habe«, rekapituliert sie das Treffen, »und daraufhin haben wir uns entschlossen, miteinander zu arbeiten und Songs aufzunehmen. Matthias gab mir von Anfang an zu verstehen, dass er an mich glaubt. Aber hatte eben auch keine Scheu zu sagen: ›Du kannst das besser‹. Wir haben uns gesucht und gefunden.« Von den Fesseln eines Plattenvertrages befreit vergrub sich Vasta in einem kleinen Zimmer in Biermanns WG, wo sie den lieben langen Tag »Songs schrieb, Musik hörte und Pizza aß«. Hier und mit Biermanns Unterstützung hatte sie endlich die Möglichkeit, ihre Ideen ohne jeglichen äußeren Druck und ganz nach ihren eigenen Vorstellungen umsetzen: »Gemeinsam gelang es uns, herauszufinden, was wir eigentlich wirklich wollten.«
Kreativ, wie die beiden nun mal sind, betrachteten sie jedes neue Problem als Herausforderung. Und statt sich bremsen zu lassen, ließen sie sich davon inspirieren. Auch wenn Vasta und Biermann irgendwann in ein größeres, professionelleres Studio umgezogen sind, wo sie mit Unterstützung von Daniel Schaub (Casper), der auch schon am Songwriting von »Cut My Hair« mitwirkte und das eine oder andere zusätzliche Instrument einspielte, sowie des renommierten Produzenten Olaf Opal (The Notwist), letzte Hand an das Album legten, waren die frühen Aufnahmen manchmal einfach nicht zu schlagen: So sind die Mülltonnen, die sie auf »Travel Safe« als Percussion einsetzten, genauso auf dem fertigen Album zu hören, wie die ersten Gesangsspuren aus Biermanns Wohnung auf »Black Tears White Lies«. Das Ergebnis ist ein gleichermaßen üppiges, plastisches und differenziertes Portrait der emotionalen Höhen und Tiefen einer jungen Frau Anfang zwanzig. Ein Album, auf dem es, wie Vasta es formuliert, »darum geht, sich nach etwas zu sehnen. Sich einsam, jung und allein zu fühlen. Um zerbrochene Beziehungen, und was sie mit einem anstellen. Aber eben immer auch darum, Träume und Hoffnungen zu haben und den Glauben an sich selbst nicht zu verlieren.«
Alba hat eine beeindruckend universelle Ausstrahlungskraft, was sicher auch daran liegt, dass Vasta Wert darauf legt, die Dinge so persönlich wie möglich zu halten. Ihre Live-Band besteht aus guten Freunden wie Biermann und Schaub, und auch für ihr Video zu »Cut My Hair« scharte sie Freunde um sich, mit denen sie gemeinsam nach Italien fuhr, um dort ihren Wurzeln nachzuspüren. Den Fahrer mimte dabei ihr Vater. Indem sie sich mit einem Kreis loyaler Weggefährten umgibt, ist es ihr möglich, ganz sie selbst zu bleiben, statt mehr oder weniger hilflos miterleben zu müssen, wie sie aus Marketingzwecken zu einer Kunstfigur hochstilisiert wird. Kein Wunder, dass sie uns mit Alba eine der zweifellos erfreulichsten musikalischen Erfahrungen beschert, die uns dieses Jahr bevorstehen: Luca Vastas Musik ist extravagant, aber geradeheraus; verspielt, aber lebenserfahren; ein vor jugendlicher Frische sprühendes Debütalbum, das von mehr Klugheit und Reife zeugt, als so manches Alterswerks. Alba ist lupenreine Popmusik für leidenschaftliche Popliebhaber, präsentiert von einer Künstlerin, die Popmusik leidenschaftlicher liebt, als alles andere.