Martin Gallop
Ich sitze mit Martin Gallop in einem Berliner Cafè der Sorte “bestellt doch was, mal schauen, ob es kommt”. Es ist Juni und noch etwas kühl, ein früher Freitagabend. Die Kreuzung gegenüber beleben mehr herumirrende Touristen und Mütter mit Kinderwagen als Autos. Es kommt natürlich nichts: Selbstbedienung. Ich zeige mich ganz schön begeistert von Martins neuem Album „Most Beautiful Song“, er ist noch erschöpft von der Arbeit, die es ihn gekostet hat. Ich schildere ihm, wie schwierig es ist, über etwas zu schreiben, das man einfach nur schlüssig und gut findet und erzähle ihm von meinem Plan, es in einer weit angelegt blumigen Ode in die Reihe der großen amerikanischen Songwriteralben einzureihen. Martin winkt müde lächelnd ab und kommt mir von wegen, er sei just a guy, der im Weinberg der Musik ackert, er gebe sich ja schon viel Mühe, aber ich solle ihn bloß nicht mit großen Namen vergleichen und dann schlägt er vor, ich könne, wenn mir seine Arbeit gefalle, einfach schreiben: “Martin Gallop hat ein tolles Album gemacht. Alles was ihr wissen müsst steckt in den Songs” und drunter dann meine Unterschrift. Hier spricht die Angst jedes halbwegs bescheidenen Musikers, die Kunst durch unnützes Aufblasen kaputtzumachen. Okay, ich halte mich zurück, aber ein paar Zeilen seien mir doch erlaubt: Geboren und aufgewachsen im Süden Kanadas, fängt Martin als Teenager an, Songs zu schreiben. Mit 18 erste Auftritte, Touren durch Kanada und die USA. Der Zufall, nein die Liebe, führt ihn 1983 nach Deutschland. Dort probiert er alle möglichen Jobs aus und beginnt, als keiner davon passt, O-Ton Gallop, “die deutsche Musikszene zu infiltrieren”.
Er macht sich als Songschreiber, Musiker und Produzent einen Namen und arbeitet mit Künstlern wie Udo Lindenberg, Till Brönner und Annett Louisan zusammen. Erst in den frühen Nullerjahren betritt Martin Gallop mit eigenen Songs die Bühnen. Sein erstes Soloalbum „how much is the world“ lebt noch von kalifornisch klingendem Uptempo-Poprock. Aber auf seiner zweiten, 2006 bei der EMI erschienen Platte „strange place called home“ scheint die Sonne nur noch durch Milchglas. Spiegelscherben reflektieren das Leben, Suchen und die Verluste eines erwachsenen Mannes. Martin Gallop hat seinen Sound gefunden. Hautnah, etwas dunkel, verwaschen, rumpelig und weit wie seine Heimat. Zum ersten Mal hat er nun die Möglichkeit diese Songs auf Tour einem größeren Publikum vorzustellen, welches er stets baff zurücklässt, ob seines Charmes und seines offensichtlich großen Talents für berührende Miniaturen in Moll.
Es braucht drei Jahre, eine verlorene Liebe und ein leeres weisses Zimmer mit Klavier, damit Martin Gallop die Arbeit an einem neuen Album beginnt. Und schon mit den ersten fast flüsternd gesungenen Zeilen wird klar, worum es gehen wird: “i will give you my hand i’ll give you my wordi will run and jump when you shout i will restore you and adore you and be your devout darling and then i’ll give you something to cry about”.
Es geht um den offen herausgesungenen, wie den unterdrückten Schmerz, das Vermissen im Zurückschauen und auch das Bereuen. Aber immer schwingt in der Traurigkeit die leise Ironie in der Art eines Hank Williams mit. Man weiß nicht genau, ob hier eigentlich jemand beim Lachen weint oder andersrum. Genau da beginnt die Kunst des Martin Gallop. Sein Schmerz ist ein feiner Witz im Walzertakt und der verkappte Humor tritt offen zutage, als er im Café lakonisch raushaut, das seien “Lieder für die Verlassenen und die, die die es gerne wären.” Wobei in einigen Fällen auch das Alleingelassenwerdenwollen des grumpy Künstlers, während er über Texten und Melodien brütet, gemeint ist, wie in „acting like Jack“ oder „sleepless nights“. Seine Arbeit als Lieder-über- Liebe-Schreiber reflektiert Martin Gallop im reizenden Titelstück „most beautiful song“. Er beschreibt, wie ihm der schönste Song der Welt, der sogar die Macht innehat, eine verkorkste Beziehung zu retten, im Traum diktiert wird. Er aber vergisst ihn aufzuschreiben und singt ihm hinterher, wie Orpheus dem fliehenden Schatten der Euridike: “i swear somewhere in the ether out there there’s the most beautiful song for you but until that refrain returns to my brain this one will have to do”
Da ist es wieder, das gnadenlos entwaffnende Gallopsche Zwinkern! Ein anderes Mal schaut er in die Ferne und erinnert sich seiner Kindheit. In „the little blue store“ lässt er eine kanadische Kleinstadt auferstehen, mit Kolonialwarenladen, konfessionell getrennten Schulen, damit verbundenen Prügeln und der ersten Liebe. Ein Song wie eine kunstvoll gedrechselte Kommode aus dem vorletzten Jahrhundert. In der Coolness seines Schlafzimmerbaritons hört man Gallops Seelenverwandschaft zu den Klassikern des Great American Songbooks wie Hoagy Carmichael und Johnny Mercer, in seinem pointierten Erzählen den Schalk eines Randy Newman.
Die Musik auf der Platte umspielt die Stimmung der Songs wunderbar. Gallop schafft es, traumwandlerisch leicht, Intimität herzustellen. Sobald wir play drücken, sitzt er bei uns im Zimmer, singt, zupft leise die Gitarre, die Mundharmonika macht den Abendwind, das Honky Tonk-Klavier kichert, Bass und Schlagzeug rollen untergehakt los. Traumbilder aus längst vergangener Zeit, Züge, Schiffe, Liebschaften, old friends und old fools ziehen vorbei und wenn der Abschlag von first impression, des letzten Songs des Albums, verklungen ist, wähnt man sich um einige Farben, in den Brechungen der Nacht, reicher.
Das ist nun doch die große Ode geworden, die mir vom Künstler ausdrücklich verboten ward. “Warum so ein Aufwasch?” hör ich ihn nörgeln. Wo man doch einfach sagen kann: “Martin Gallop hat mit most beautiful song ein großes kleines Album hingelegt. Alles was ihr wissen müsst steckt in den Songs!”
Francesco Wilking