Sarah Klang
Zunächst ein paar Fakten: Geboren in Göteborg, wuchs die 26-jährige Sarah Klang im Norden Schwedens auf, nahe der finnischen Grenze. Trennungen in der Familie, der Selbstmord einer engen Freundin und gescheiterte Beziehungen tragen zu immer wiederkehrenden depressiven Verstimmungen bei. Trost findet Klang in alten Filmen und beim Experimentieren mit Vintage-Mode, für die sie sich leidenschaftlich interessiert. Zurück in Göteborg beginnt sie, die dunklen Stunden in melancholischen Songs zu verarbeiten. Gleich mit ihren ersten Songs – darunter die grandiose Trennungs-Ballade „Strangers“ – stößt sie in ihrer Heimat auf gewaltige Erfolge. Ihr 2018er-Debütalbum „Love In The Milky Way“ kracht auf Platz eins in die schwedischen Charts, Sarah gewinnt im Anschluss zwei schwedische Grammis Awards und weitere Preise und geht mit First Aid Kit auf Europa-Tour. Und dies alles mit Musik, die vor allem sehr eigen ist und beileibe nicht dazu designt, „radiofreundlich“ zu sein.
Während ihr Debütalbum, zu dem sie sich selber den Titel „saddest girl in Sweden“ verlieh, noch ein dringlicher Schrei nach Akzeptanz – auch der eigenen – war, entwickelt sie nun auf ihrem zweiten Album „Creamy Blue“ eine neue Form von melancholischer Selbstverständlichkeit, die nicht mehr ganz so düster, aber umso selbstverständlicher klingt. Zu breiten Pianolinien und großen Streicher-Arrangements wildert Sarah Klang gemeinsam mit ihrem Co-Autor Kevin Andersson wunderbar ungeniert in der Vergangenheit von klugem, melancholischem Pop, zitiert die Achtziger ebenso wie die Lässigkeit von zeitlosem Americana- und Country-Songwriting: „Mit ihm stehe ich bei der Arbeit in einem ständigen Austausch, es gibt dadurch quasi ununterbrochen diese Momente der Spiegelung“, sagt sie. Noch immer steht das Zwischenmenschliche in ihren extrem persönlichen Texten im Vordergrund, auf „Creamy Blue“ jedoch etwas stärker abstrahiert ins Allgemeine, statt ins extrem Persönliche. Es ist eine atemberaubende Entwicklung, die Sarah Klang vom Debüt zu diesem zweiten Album durchlaufen hat; dabei sagt sie selber über sich, sie stehe noch ganz am Anfang ihrer Selbstentdeckung.
Doch was inspiriert sie zu ihren Songs? Ihre Antwort, so klar, so evident: „Das Leben. So einfach ist das: Es ist nur das Leben. Das war bereits beim ersten Album so – dieses Album entstand ja letztlich aus dem Wunsch heraus, mich über die Songs mal etwas zu entlasten von vielen Gedanken und Emotionen, die mich fortwährend beschäftigten. Ganz so dringlich war es jetzt bei „Creamy Blue“ nicht mehr, aber die Grundhaltung, dass ich über etwas erzähle, das mich selbst intensiv beschäftigt, hat sich dabei nicht geändert.“ Dabei, so berichtet sie weiter, verstehe sie sich selber viel mehr als Live- denn als Studio-Musikerin: „Die Anfänge, also den rein kreativen Prozess, neue Musik zu schreiben, finde ich wahnsinnig spannend, und daher mag ich ihn auch. Je weiter man dann fortschreitet im Prozess, umso anstrengender wird es für mich, und dann verliert es manchmal auch etwas seinen Spaß. Denn ich mag meine Stimme nicht sonderlich gern hören bei den Gesangsaufnahmen. Wenn diese erst mal geschafft sind und wir am Detail feilen, dann bin ich wieder voll an Bord. Ich könnte mit Kevin zusammen stundenlang nach einem passenden Keyboard-Klang suchen oder darüber nachdenken, wie spitz und crunchy eine Hi-Hat zu klingen hat. Die schlimmste Phase ist die gegenwärtige – wenn das Album im Grunde fertig, aber noch nicht veröffentlicht ist, ich aber nichts mehr daran ändern kann. Ich bin sogar dazu übergegangen, mir das Album in dieser Phase gar nicht mehr anzuhören, denn ständig denke ich: Ach, hier könnte man noch etwas ändern, dort noch etwas hinzuaddieren. Das ist echt schlimm.“
Das ist ja keine große Überraschung, wenn man ihrer bis ins letzte Detail durchdachten Musik zuhört – als Perfektionistin möchte sie sich aber dennoch nicht verstanden wissen: „Ich mag das Wort nicht so gern, es drückt etwas Manisches aus, das ich, denke ich, eigentlich nicht in mir trage. Mir gefällt es besser zu sagen, dass ich gern alles immer so gut wie möglich machen möchte, einfach, weil mir diese Songs alles bedeuten. Das ist wahrscheinlich nahe am Perfektionismus, aber was heißt schon perfekt? Daher lieber: so gut, wie ich es eben kann. Ich höre mir auch mein erstes Album kaum noch an, denn seither habe ich so vieles dazu gelernt, dass ich aus der jetzigen Perspektive vieles höre und bemerke, was ich heute anders machen würde. Aber ich denke, das ist der übliche Prozess bei kreativen Menschen, dass sie mit vergangenen Arbeiten immer nicht ganz so glücklich sind wie mit der aktuellen.“
Je länger man mit Sarah Klang spricht, umso offensichtlicher wird, dass es sich hier durch und durch um eine Künstlerin handelt, die für ihre Texte und Musik lebt – und nicht für all die eingangs erwähnten Erfolge. Da liegt es nahe, sie zu fragen, was für sie selber ein großer Erfolg war? „Ach, das waren meistens ganz bestimmte Live-Situationen“, erzählt sie gelassen. „Ich erinnere mich, dass ich damals, als wir gerade „Strangers“ als Single veröffentlicht hatten, auf ein großes schwedisches Festival eingeladen wurden. Ich war der erste Act überhaupt, der auf diesem Festival spielen sollte, ohne bislang überhaupt ein Album veröffentlicht zu haben. Ich hatte gerade einmal genügend Material für etwa 25 Minuten Show, und das sagte ich den Veranstaltern auch, und sie entgegneten nur: ‚Das macht nichts, dann spielst du halt nur so lange, wie du kannst.‘ Wir traten also auf, und da standen plötzlich wahnsinnig viele Menschen vor der Bühne. Das war für mich so ein Moment, wo ich dachte: Wow, was passiert hier? Solche Momente bedeuten mir viel mehr als ein Award, auch wenn ich weiß, dass solche Awards fürs Geschäft wichtiger sind als meine persönliche Euphorie über einen vollen Club. (lacht) Trotzdem war es natürlich etwas sehr Emotionales, diese Grammis zu gewinnen, denn ich war in beiden Kategorien nominiert neben einigen meiner größten Idole. Und ich habe gewonnen, das muss man sich mal vorstellen! Das war schon ziemlich schräg.“
Es ist immer eine etwas fiese Frage an einen plötzlich erfolgreichen Künstler, aber wir stellen sie Sarah trotzdem: Was, schätzt sie, ist das Geheimnis ihres plötzlichen Erfolgs? Sie denkt länger nach und antwortet dann: „Ich glaube, das bin ich als Person und als diejenige, die in ihren Songs aufrichtig über besonders emotionale Momente aus ihrem Leben erzählt. Damit können sich scheinbar viele verbinden. Das beginnt ja schon mit der Physis: Ich entspreche nun mal nicht gerade irgendeinem klassischen Schönheits-Ideal, ich trage auch nicht die Mode, die Frauen meines Alters als trendy oder sexy empfinden würden. Ich mache halt mein ganz eigenes Ding, und das verleiht meinem ganzen Tun offenbar eine Form von Authentizität, die auch draußen beim Hörer ankommt. Man nimmt mir einfach ab, dass ich meine und an das glaube, was ich singe, und das erzeugt offenbar eine Nähe zu den Hörern, die in der Popmusik so nicht unbedingt üblich ist.“
Ja, es stimmt: Bereits seit der ersten Single offenbart sich Sarah Klang ihren Hörern sehr unverblümt als Mensch, als Frau, als Künstlerin. Es ist beeindruckend, mit welcher Selbstverständlichkeit sie diese Aufrichtigkeit verfolgt – nur: Hat das nicht auch einmal negative Seiten? Etwa, dass man sich sehr verletzlich macht und Medien dies gegebenenfalls gegen einen verwenden? „Das habe ich so noch nicht erlebt, mag aber theoretisch sicher denkbar sein. Nein, bislang ist alles positiv daran. Wobei ich den positivsten Aspekt, der sich eingestellt hat, so wiederum nicht erwartet habe, und der findet sich in den Reaktionen meiner Hörer. Ich habe mittlerweile einen gewaltigen Ordner auf meinem PC mit Geschichten, die mir Fans schickten – Liebes- und Trennungsgeschichten, solche über zerbrochene Freundschaften und tragische Lebensereignisse. Und in all diesen Geschichten scheint durch, wie sehr diesen Menschen meine Songs in bestimmten Momenten geholfen haben. Klar hofft man als Künstler immer, dass man sein Publikum auch emotional erreicht; aber dass das dann solche Formen annimmt, dass man mir sagt, ein Song von mir habe jemandem durch eine schwere Zeit geholfen oder sei für jemand anders so eine Art Hymne zu der neuen Partnerschaft, die er eingegangen ist, das ist dann doch weit mehr, als man als Musiker erwarten kann. Doch dadurch, dass ich mich selber so öffne, scheinen das eben auch meine Hörer zu tun, und das finde ich wunderbar in einer Welt, die im Grunde immer artifizieller und unwahrhaftiger wird.“
Ebenso ungewöhnlich sind ihre Einflüsse. Die sie sind sehr vielseitig und kommen oft auch aus überraschenden Phasen der Popmusik. Sie zitiert etwa Dolly Parton und Cher als große Einflüsse, aber auch die Grandezza einer Barbra Streisand. „Ich entspreche eben nicht dem typischen Bild einer jungen Pop-Sängerin, und wahrscheinlich liegt es da einfach nahe, dass ich mich schon immer auch von Frauen inspirieren ließ, die anders sind als das, was ‚der Maßstab‘ ist. Hinzu kommt, dass ich vom ersten Song an nie ein Interesse daran hatte, etwas zu kreieren, das irgendwie dem Mainstream entspricht, und entsprechend imponieren mir eben Frauen, die es im Pop-Geschäft weit gebracht haben mit einer ähnlichen Mentalität. Und hier kommt mir – weil du auch nach dem Erfolg fragtest – sicher auch zugute, dass ich den Eindruck habe, dass die Menschen derzeit wirklich krass überfüttert sind von dem, was sich Mainstream nennt. Es scheint vielmehr, dass durch die veränderten Gesetze in der Musikbranche eine neue Form von Authentizität gefragt ist, und ich denke, das bediene ich mit meiner Kunst recht gut. Der Mainstream ist einfach auch so krass verflacht in den letzten Jahren, dass es da an der Zeit war für eine Gegenbewegung. Sicherlich ist es auch mein Glück, dass ich genau in diese Phase hinein platze mit meiner Musik. Und mein Eindruck ist, dass es mit den Künstlerinnen, die einen starken Einfluss auf mich ausüben, zu ihrer jeweiligen Zeit sehr ähnlich war.“
Man muss sich heute ja ohnehin fragen: Was genau bedeutet „Mainstream“? Heißt es, nur radiotaugliche Drei-Minuten-Songs zu schreiben? Meint es, dass man als Coach bei Casting-Shows auftritt? Oder vielleicht doch, dass man neben der eigentlichen Musik eine (mehr oder weniger) zwingende Zweit-Karriere als Insta-Influencerin anstrebt? Gerade in Letzterem zeigt sich Sarah Klangs Eigenwilligkeit auf eine andere, sehr schöne Weise: So zeigt etwa ihr Instagram-Profil ein interessantes Spiel mit Stilen, Moden, vor allem aber auch Selbstironie. „Ja, ich gebe zu, dass ich in Bezug auf Social Media schon supernerdy bin“, lacht sie. „Das war aber auch ein Prozess, als junges Mädchen habe ich diese Plattformen genutzt wie jede andere. Mit der Zeit bildete sich da aber eine andere Haltung heraus, die eben stärker von Selbstironie und Artifiziellem lebt. Wenn man eben erst mal kapiert hat, dass man auf Instagram ohnehin so gut wie nie das digitale 1:1-Abbild einer Person findet, kann man diese Diskrepanz auch schön ins Extrem treiben, und das macht mir heute viel mehr Spaß als ständig Selfies zu produzieren, auf denen ich dreimal so gut aussehe wie in Wirklichkeit. Es ist ein wenig wie so ein Dr.-Jekyll-Mr.-Hyde-Spiel, nur ohne die ganzen Verbrechen.“ Und wieder lacht sie ihr besonderes Lachen, und man freut sich es zu hören vom vermeintlich ja „saddest girl in Sweden“.
Ein „Girl“, das aber in manchen Punkten dann wieder ganz eine junge Frau ist; etwa in Bezug auf ihre „Girls Gang“ genannte Gruppe engster Freundinnen, die neben ihrem kreativen Partner Kevin Andersson schon immer ein sehr wichtiger Spiegel für Sarah waren. Noch immer? „Eher: Immer mehr!“, antwortet sie. „Weißt du, je mehr man mit dem, was man so sagt und denkt, in der Öffentlichkeit steht, umso wichtiger ist es, dass es Menschen in deinem Umfeld gibt, die dir auch sagen, wenn etwas einmal falsch oder unaufrichtig oder schlicht scheiße ist. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, dass sein Ego immer größer wird, je mehr es befeuert wird von außen, und auch ich bin davon nicht ganz frei. Nach einer Award-Verleihung einfach mit seinen Mädels etwas trinken zu gehen und sie sagen zu hören: ‚Also Sarah, bei der Verleihung standst du da wie ein Sack Reis auf der Bühne, du sahst echt ungelenk aus‘, das ist ein schönes Korrektiv, auf das ich nicht nur nie verzichten möchte, sondern dass ich, so scheint es mir, immer mehr brauchen werde. Und meine Girls Gang ist diesbezüglich ziemlich unverblümt. Das gefällt mir sehr.“
Was wir an Sarah Klang sehen, was wir über ihren unmittelbaren Erfolg lernen können, ist das Folgende: Mehr und mehr etabliert sich unter den weiblichen Twenty-Somethings dieser Welt, die eine starke Neigung zu Kunst und Musik haben, ein Ton und eine Grundierung, die für Empowerment, Selbstbestimmung, Eigenwilligkeit und eine wunderbar fehlende Bereitschaft sprechen, sich einfach den Marktgesetzen anzupassen. Hier mag sicher auch eine Adele dereinst als Vorbild für Sarah gedient haben, oder auch die finnische Kollegin Alma. Beide avancierten – gewissermaßen als Nebenprodukt ihres Erfolges – peu à peu zu Role Models für Frauen ihrer Generation und für die innere Überzeugung, nur zu machen, was einem die Intuition und der künstlerische Instinkt eingibt. Da liegt es natürlich nahe, solche Attribute auch für Sarah in Anspruch zu nehmen; könnte sie sich vorstellen, in eine solche Rolle eines Role Models zu schlüpfen? „Puh, große Frage, auf die ich gegenwärtig echt noch keine Antwort habe. Denn allzu oft finde ich, dass ich ja selber noch auf der Suche nach mir bin. Mag sein, dass ich durch die plötzliche Öffentlichkeit in Schweden schneller verstanden habe, wie wichtig es ist, dass man bei aller Offenherzigkeit sein Inneres schützt, indem man eben auf den sozialen Kanälen eine völlig überspitzte Form von sich selber präsentiert – wo ich ja schon in meinen Songs stets so extrem aufrichtig bin. Und es mag weiter sein, dass sich daran andere junge Frauen ein Beispiel nehmen, weil sie diesen Ansatz gut finden. Mich deshalb gleich zum Role Model zu stilisieren, das liegt mir aber absolut fern, und sollte es jemand anders tun, so kann ich nur sagen: Der Schuh ist mir im Moment definitiv noch viel zu groß. Klar – dieses ganze euphorische Feedback, das ich erhalte, hinterlässt seine Spuren. Ich beginne damit, daran zu glauben, dass ich als Musikerin tatsächlich einen bestimmten Wert besitze, der Bestand hat. Das ermöglicht es mir, weiter zu machen – und am Ende, so hoffe ich, immer glücklicher zu werden.“ Nichts anderes wünschen wir uns auch – für sie und für uns als ihre Hörer.